40 Jahre Die Toten Hosen: mehr als bloß Radiomüll

Titelbild: (c) Gabo

Die Toten Hosen feiern heuer ihr 40-jähriges Bestehen als Band. Zu diesem Anlass bespielen sie im Sommer einige der größten Bühnen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Doch was begeistert so viele Menschen eigentlich nach all den Jahren noch an der Musik dieser Altherren-Truppe? Es folgt der Versuch einer persönlichen Erklärung.

Ein Text von Gastautor Markus Dietl.

Seit ihrer Gründung im Jahr 1982 haben Die Toten Hosen einen unübersehbaren Fußabdruck in der Musiklandschaft hinterlassen. Von den nonkonformen Außenseitern der Opel-Gang haben sie sich zu einer der erfolgreichsten Bands Deutschlands gemausert. Ihre treue Anhängerschaft erstreckt sich von Mottopartygehern in Wiener Szene-Lokalen bis hin zu Fans auf ausverkauften Stadienkonzerten in Buenos Aires. Von den jungen Tage-wie-diese- Generationen bis hin zu den Bis-zum-bitteren-Ende-Urgesteinen. Bei den entsprechenden Anlässen finden sich die unterschiedlichsten Menschen Arm in Arm wieder, dieselben Lieder mitgrölend. Lieder, die sie durch ihr Leben begleiten, und wahrscheinlich auch in Zukunft begleiten werden. Mit dem enormen Erfolg der Band hat sich im Laufe der Jahre ein bestimmter Gegenpol an Leuten gebildet. Zum einen sind das ehemalige Fans, welche die kommerzielle Entwicklung der Gruppe ablehnen. Zum anderen gibt es solche, die wahrscheinlich nie Fans waren, jedoch meinen, sich aus einer elitären Haltung heraus von der Musik abgrenzen zu müssen. Wie etwa so manche geschätzte Redaktion, die Die Toten Hosen gerne mal als „Radiomüll“ tituliert. Klar, „Tage wie diese“ kann man leicht als rührseligen, für Mainstream-Radiosender produzierten Schlagerrock abtun und in dieselbe Schublade wie Max Giesinger und Konsorten stecken. „Zehn kleine Jägermeister“ ist eine von vielen Saufhymnen. Auch hier findet man Angriffspunkte und kann sich reichlich auskotzen, wenn man nur Lust und Laune dazu hat. Doch bei einer Band, die über Generationen hinweg Leute mit ihrer Musik abgeholt und berührt hat – greifen da diese Kategorisierungen nicht zu kurz? Woher rührt die ungemeine Faszination, der Kult, der bis heute um die Truppe existiert?

Früher war alles besser, früher war alles gut

Eine gute Weile ist es nun schon her, da besuchte ein schüchterner, vielleicht fünfzehn Jahre alter Bub zum ersten Mal ein Konzert seiner über jeden Zweifel erhabenen Lieblingsband – Den Toten Hosen.„Auswärtsspiel“ war wohl eine seiner meist gehörten CDs zu dieser Zeit. Dementsprechend sang der Junge Texte wie „Steh auf, wenn du am Boden bist“ lautstark und voller Euphorie anderen Konzertbesuchenden entgegen. Er stürzte sich in die Menschenmenge, trug blaue Flecken davon, erlebte das volle Programm eines schweißtreibenden und im selben Ausmaß erfüllenden Konzertabends. Inzwischen ist der Bub längst in seinen Zwanzigern angekommen. Er studiert und hat schon mehrere Jahre in einem eintönigen Job hinter sich. Sein Leben ist komplizierter geworden und er erkennt nur noch wenig von sich in diesen einfachen Liedern wieder. Überhaupt nimmt er sich immer seltener die Zeit, ein Album mit voller Aufmerksamkeit durchzuhören. Manchmal, am Weg nach Hause von einem langen, weinseligen Abend, da kehrt er wieder zu diesen alten Songs zurück. Nun scheinen es jedoch eher die leisen Zwischentöne zu sein, die etwas in ihm ansprechen. Die Art wie Campinos Stimme in „Mehr Davon“ jeden Moment zu zerbrechen droht. Der aufrichtige Herzschmerz, der in einem Hit wie „Alles aus Liebe“ schlummert.

Gleichzeitig fühlt er sich an frühere Zeiten erinnert. Als alles noch offener schien, die Möglichkeiten einem unbegrenzt vorkamen. Alles war von einer Leichtigkeit geprägt, die man sich heute oftmals zurückwünscht. Letztendlich ist es diese naiv-jugendliche Leichtigkeit, die sich auch in einem Song wie „Tage wie diese“ widerspiegelt.

Am Anfang war der Lärm

Ein Aspekt, der meine Faszination für Die Toten Hosen seit jeher mitgeprägt hat, besteht in der Geschichte der Band. Gespickt mit Schlägereien, Straßenschlachten und Drogenexzessen verlief diese nicht gerade reibungslos und ist wohl nur schwer mit dem Werdegang eines Poplieblings wie Max Giesinger gleichzusetzen.

Im Jahr 1988 feierte die Düsseldorfer-Formation mit dem Hit „Hier kommt Alex“ einen ihrer größten Erfolge. Gleichzeitig stellte das Jahr wohl auch eine Hochphase in Bezug auf den Drogenkonsum dar. Während einer kräftezerrenden Tour landete Campino, Sänger und Frontmann der Band, mit einem Kreislaufkollaps und angerissenen Stimmbändern im Krankenhaus. Dort machte ihm ein Arzt klar, dass es für seine Gesundheit düster aussehe, wenn er nicht sofort die Reißleine ziehe. Campino berichtete auch schon offen von depressiven Phasen, die er in Verbindung mit seinem Drogenkonsum durchlebte. Tatsächlich sind zu jener Zeit – also Ende der Achtziger bis Anfang der Neunziger – auch Songs entstanden, die genau einen solchen seelischen Zustand zum Thema machen. Für Stücke wie „Sein oder Nichtsein“, „Mehr davon“ oder „1000 Nadeln“ schrieb Campino vielleicht einige der aufrichtigsten Songtexte seiner Musikkarriere. So heißt es etwa an einer Stelle: „Komm, wirf dir ein paar Tabletten ein, damit du wieder funktionierst. Hör auf mit deinem Hilfeschrei, der die anderen hier nur stört“.

Die genannten Songs sind allerdings nur einige von vielen Beispielen dafür, wie Die Toten Hosen ihre ganz persönlichen Konflikte oder Tiefschläge in ihrer Musik verarbeiteten – sei es etwa ein Konzerthit wie „Liebeslied“, der von einer Straßenschlacht in Berlin handelt oder der Titel „Alles ist eins“, der für jenes 16-jährige Mädchen geschrieben wurde, das am Jubiläumskonzert im Jahr 1997 im Gedränge ums Leben kam.

Und dieser Lärm hört niemals auf …

Ja, im Vergleich zu den frühen, rotzigen Punk-Jahren, sind Die Toten Hosen braver geworden. Ihr jetziger Status als Rockstars widerspricht den ursprünglichen Szene-Wurzeln. Die Musik selbst ist massenkompatibler, hat in Teilen längst einen Stadien-tauglichen Mitgröl-Charakter entwickelt. Nichtsdestotrotz steckt die Energie von damals auch bis heute in ihren Liveauftritten. Sie äußert sich in den körperlich fordernden Performances eines Campinos. Dazu zählen die obligaten Spagatsprünge gleichermaßen wie die waghalsigen Kletteraktionen, welche bis vor einigen Jahren noch zum gewöhnlichen Repertoire des Sängers gehörten, der erst unlängst seinen Sechziger feierte.

Auch noch am jüngsten Album „Laune der Natur“ äußert sich diese scheinbar unerschöpfliche Energie. Sei es nun durch Campinos Gesang, der an vielen Stellen in das altbekannte krächzend- gepresst klingende Geschrei übergeht oder durch das treibend-schnelle Schlagzeug, mit dem etwa der Song „Urknall“ das Album einleitet. All diese Faktoren zeugen nicht nur von einer nach wie vor großen Leidenschaft zum Musikberuf, sie heben Die Toten Hosen auch deutlich von all dem seelenlosen „Radiomüll“ ab, über den auch ich mich als alternativer, The National hörender Soziale-Arbeit-Student allzu schnell und gerne echauffiere.

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