Bruce Springsteen veröffentlichte diese Woche sein erstes Soloalbum seit 14 Jahre. Western Stars zeigt den Meister des Heartland Rock am Anfang seiner Spätphase, in der er so geladen und mitreißend klingt, dass man sich sicher ist: Es ist noch lange nicht vorbei, es gibt noch so viel, das gesagt werden muss, so viele Songs, die geschrieben, und Konzerte, die gespielt werden müssen. Er steht am Anfang seines nächsten Kapitels.
Schon auf den ersten Blick wirkt vieles auf Western Stars gelungen. Das grandiose Cover-Foto von Danny Clinch, Ikone der modernen Rockfotografie. Das Pferd, das sich im Wüstensand Südkaliforniens aufbäumt, könnte dem gealterten Künstler gleichkommen. Bruce Sprinsgteen ist gealtert – im September feiert er seinen 70. Geburstag -, doch hat er keinen Grund, sich aufzubäumen. The Boss ist noch immer unbestritten, kaum jemand inspiriert seit so langer Zeit so viele Menschen über Generationen hinweg, keiner spielt so intensive Shows, wie er es tut.

„Thumb stuck out as I go
I’m just travelin‘ up the road
Maps don’t do much for me, friend
I follow the weather and the wind“
– Hitch Hikin‘
Der nächste gelungene Kniff ist die Trackliste von Western Stars. Springsteen hat es vermieden, die Scheibe mit einer Vorabsingle zu eröffnen, oder den Opener vorab als Single zu veröffentlichen. Ein neues Album, sollte im Moment des ersten Hörens mit neuen Klängen ertönen. Western Stars tut das mit dem repetitiven Hitch Hikin‘, einem Highlight der Platte. Der von seiner starken Stimme getragene Song erzählt von einem Autostopper, der getrieben von Wind und Wetter durch das Land zieht. Auf seinem Weg trifft er Familienväter und Trucker.
Mit The Wayfarer ziehen die Streicher auf Western Stars ein, die wir auch auf Tucson Train wiederhören. Durch die oft ausorchestrierte Gestaltung der Songs spannt Springsteen auf seinem neuen Werk den Bogen vom American über den Irish Folk bis hin zu ausgeprägten Country Facetten, die man in seiner Stimme noch nie so deutlich vernehmen konnte.
So stellt Western Stars auf der einen Seite einen Rückblick auf Springsteens fast 50-jähriges Schaffen. Der düster-romantische Titeltrack bringt trotz der dramatischen Orchesterpassagen die Kargheit Nebraskas zurück. Das quirlige Sleepy Joe’s Cafe lehnt sich einerseits an die jugendliche Verspieltheit und Liebe zum Reim der Greetings und The Wild, The Innocent Zeit an, als Springsteen Rock’n’Roll in kleinen Clubs spielte; gegensätzlich fühlt man sich zugleich an die eher cleane Rock-Phase von Tunnel of Love bis Human Touch erinnert, als sich die Karriere und das Privatleben des Superstars Springsteen im Umbruch befand. Das ruhige Drive Fast (The Stuntman) spielt indes mit der Erinnerung an Devils & Dust, Springsteens letztes richtiges aus dem Jahr 2005. Sundown kommt der Zeit von Magic und Working on a Dream nahe, wenngleich der Track in seiner Produktion erdiger klingt. Und Somewhere North of Nashville reiht sich in die Linie Springsteens großer, düsteren Balladen wie My City of Ruins und Racing in the Streets.
Auf der anderen Seite klingt Bruce Springsteen auf Western Stars so frisch, so überraschend, so neu, oft unbekannt. Man kann nicht sagen, er hätte sich neu erfunden, auch das Rad kann man nicht neu erfinden. Doch er zeigt sich seinem Zuhörer von einer anderen Seite, zeigt neue Facetten seiner Stimme, lässt mehr Country zu, gibt sich persönlich wie selten. Der Sänger taucht mit seinen Protagonisten unter und mit seiner eigenen Geschichte wieder auf. Etwa auf dem wunderbaren Hello Sunshine, über das schon so viel gesagt wurde, das seine Hörer im Kontext der Platte aber immer noch verzaubert.
Zweifelsfrei ist Western Stars ein großes Album, wahrscheinlich sogar Bruce Springsteens bestes Off-E-Street-Album zumindest seit Ghost of Tom Joad.
Mit der Western-Country Ballade Moonlight Motel lässt sich der Hengst am Coverartwork wieder auf alle vier herab, um weiterzuziehen. Der nächste Stopp für Springsteen steht fest: E Street.
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